Auch als Philosoph ist man ja seinen Klischees verpflichtet. So treibe ich mich bekanntlich den ganzen Tag in Cafes herum, um meine Artikel zu verfassen, bin ein nicht ausgebildeter Schreiberling, tue es aber trotzdem und behaupte auch noch zu wissen, was wirklich wichtig ist. Und nun ist auch noch mein Sofa quasi verbraucht, weil ich in der Zeit, die ich nicht in Cafes verbringe, ja nur faul herumsitze, um mich von meiner anstrengenden Arbeit in den Cafes zu erholen. Die spontane Idee, ein neues Sofa zu kaufen, erweist sich als Problem, das auf eine ganze Problemklasse zurückgeführt werden kann: Es gibt zuviel des Guten.
Zuviel des Guten
Nachdem meine beste Ehefrau von allen und ich uns darauf verständigten, dass die Tage des Sofas gezählt seien, fanden wir uns im nächstbesten Möbelhaus der Region ein, um uns inspirieren zu lassen. Was als zwei Stunden Aktion geplant war, hat einschließlich Mittagspause sechs Stunden gedauert – hatte dafür aber auch kein Ergebnis. Zumindest haben wir noch immer kein neues Sofa, aber immerhin viel dazu gelernt:
- Es gibt mindestens alles, wenn nicht noch mehr
- Es gibt allerdings nicht die Kombination aus Eigenschaften, die man gerne kombiniert hätte
- Die Preise sind verhandelbar
Das kommt Euch bekannt vor? Vielleicht aus der Automobil-Branche oder vom letzten Kauf eines Mobiltelefons? Ja, richtig. Sehe ich auch so.
Nur: Wie sollen wir armen, überforderten Käufer damit umgehen? Folgende Herangehensweisen aus dem allwissenden Internet möchte ich wertungsfrei aufzählen:
- Wir können das Optimierungsproblem ignorieren. Irgendein Sofa ist sicher ein gutes Sofa. Das reicht.
- Wir können für jedes Sofa auf diesem Erdball eine Bewertungsliste erstellen: Was ist gut, was ist schlecht, jeweils wie stark zwischen 1 und 5, multipliziert mit dem Faktor, wie wichtig das Kriterium ist. Ergibt ein Zahlenmonster, das vermutlich wenig mit dem erlebten Wohlfühlfaktor des Sofas zu tun hat, aber das Problem auf eine Zahl reduziert hat. Das Sofa mit der größten Zahl gewinnt unser Wohlwollen.
- Eine Mischung aus 1. und 2. bedarf der Einsicht, dass das Problem nicht vollständig optimiert werden kann, aber vielleicht auch nicht muss: Man eruiert den Markt bewusst nur teilweise und schnappt sich daraus ein gutes Angebot.
Diese ersten drei innovativen Tipps kann man in so ziemlich jedem Optimiere-Deine-Zeit Artikel nachlesen (650.000 Artikel wirft Google raus – OMG). Die Artikel verschweigen aber den vierten Weg:
- Ist mir komplett egal, was es gibt, ich baue es sowieso selber. Und wenn es 100 Jahre dauern sollte.
Optimierungsfreie Zeit
Über den vierten Weg entsteht grade mein Surround-System für das Wohnzimmerkino. Unabhängig von jedem Zeitgeist und üblichem Vorgehen baue ich eine Anlage, die perfekt so ist, wie ich sie haben will – keinen Millimeter links, keinen rechts, mit allen Schleifchen und golden Henkeln, so wie es für mich sein muss. Wunderbar. Meine Empfehlung: Lasst Euch nicht einreden, dass es keine Alternative gibt: Gibt es oft, sie werden manchmal nur als Blödsinn oder so verworfen. Als ob das etwas Schlechtes sei. Diese vierte Alternative hat nämlich den Vorteil, dass sie komplett frei von jeglicher Vernunft ist: Ihr könnt also potenzielle Kritik ob des ungewöhnlichen Vorgehens einfach so stehen lassen: Sie stimmt ja. Und am Ende habt Ihr trotz aller Unkenrufe ein geniales Heimkino.
Was bleibt für mich?
Ich muss jetzt noch die Selbstbau-Surroundboxen schleifen, die ich die letzten Tage geleimt habe. Dann werden hoffentlich irgendwann die Module für meinen selbstgebauten Endverstärker geliefert, so dass ich alles anschließen kann. Popcorn brauche ich noch fürs namensgleiche Kino, dann geht’s los. Und das mit dem Sofa wird auch noch was – solange sitze ich auf dem alten und genieße Musik, Kino oder auch Stille, Rotwein.
Eine Antwort zu “Zuviel des Guten”
[…] Wir entscheiden aktiv, auch wenn es schwerfällt […]