Quanten im Alltag


Physikalische Phänomene bestimmen unseren Alltag, auch wenn wir sie so gar nicht wahrnehmen: Wir merken, dass Licht auch Schatten werfen kann, wir sehen Gegenstände und sind uns sicher, dass sie auch da sind, wenn wir nicht hinschauen. Wir stellen die Lautstärke unserer Musikanlage stufenlos ein – wo also sollen irgendwelche Quanten ihr Unwesen treiben? Schauen wir das mal in Detail an.

Die Physik, die wir im Alltag wahrnehmen, ist insoweit korrekt und belastbar, als das wir sie mit den Sinnen erfassen, die uns zur Verfügung stehen. Wir erweitern diesen Wahrnehmungsbereich über Messgeräte, die physikalische Eigenschaften in für uns wahrnehmbare Eigenschaften übersetzen.  Ein Fotoapparat misst die Helligkeit des Lichtes und stellt sie in Blende und Belichtungszeit dar. Ein Mikrophon misst die Lautstärke von Geräuschen oder ihre Frequenz.

Etwas Spieltrieb vorausgesetzt können wir uns auf unserem Weg in die Quantenphysik folgenden Versuchsaufbau vorstellen: Lassen Sie Wasser in eine Badewanne und teilen Sie sie mit einem Holzbrett in zwei Hälften. Das Holzbrett hat auf der Höhe der Wasserlinie einen Spalt. Wenn Sie auf der einen Seite plätschern, sehen Sie zentrische Halbkreise auf der anderen Seite. Der Physiker nennt das Beugung der Wellen am Spalt.

Mit einem zweiten Spalt in etwas Abstand parallel zum Ersten können Sie ebenfalls die Wellen beobachten. Jetzt aber überlagern sich die Wellen an den Spalten und man kann radial Bereiche höherer Wellen und Bereiche niedriger Wellen beobachten: Die Überlagerung der Wellen an beiden Spalten verstärkt die Amplitude oder schwächt sie ab. Soweit alles noch halbwegs klar. Wiederholen wir das Experiment nun mit Licht statt Wasser. Dazu müssen wir unseren Versuchsaufbau aus der Wanne rausnehmen und das Brett mit seinen Schlitzen auf einige Mikrometer verkleinern, um mit den kleineren Wellenlängen von einigen 100 Nanometern arbeiten zu können. Grundsätzlich kommen wir dann aber zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Wellen des Lichts werden am Spalt gebeugt. Spannend wird es, wenn wir einen super kurzen Lichtblitz bestehend aus nur einem Photon durch einen solchen Doppelspalt schicken.

Man wird annehmen, dass das Photon nur durch einen Spalt fliegt und der Spalt, durch den es nicht fliegt, keinen Einfluss auf unser Photon haben wird. Wir erwarten, dass es einfach grade durchfliegt. Tut es aber nicht – und damit sind wir in der Quantenphysik. Das Licht-Quant wird nämlich wie die Wellen des Wassers gebeugt und mehrere Photonen hinterlassen auf einem Bildschirm Bereiche hoher und niedriger Dichte. Was genau passiert da? Wir werden ganz einfach Zeuge eines Phänomens der Quantenphysik: die Teilchen – Welle Dualität: Wir können zumindest auf Teilchen-Ebene für eben ein bestimmtes Teilchen nicht exakt sagen, ob es nicht vielleicht auch eine elektromagnetische Schwingung ist. Das scheint irgendwie das gleiche zu sein: Als Quant geboren, als Welle gebeugt, als Quant auf dem Bildschirm angezeigt.

Aus der Unmöglichkeit, Teilchen von ihrem Alter-Ego der Welle zu unterscheiden, hat Herr Heisenberg seine Unschärferelation entwickelt. Sie besagt, dass man nicht zwei  Eigenschaften gleichzeitig beliebig genau messen kann. Man kann also ein Photon als Teilchen erkennen oder als Welle aber nicht beides gleichzeitig. Durch die Messung beeinflusst man das Objekt auch, so es sich quasi festlegt: Es stellt sich dann eben mal ein Teilchen dar, wenn ich es als solches messen will.

Ein weiteres Phänomen der Quantenphysik ist die reine Zufälligkeit, die nicht auf unvollständigen Modellen beruhen: Niemand kann vorhersagen, wann ein instabiles Atom zerfällt. Zwei Atome des gleichen Elements unterscheiden sich durch gar nichts, das eine kann heute zerfallen, das andere morgen oder in 300 Jahren.

Die sogenannte spukhafte Fernwirkung (nach Albert Einstein) ist ein weiteres Phänomen. Sie besagt, dass zwei (oder mehr) sogenannte verschränkte Quanten zusammen ein System darstellen, das nicht als Summe einzelner Quanten erklärt werden kann. Sie beeinflussen sich gegenseitig, ohne dass sie eine Verbindung haben oder räumlich auch nur in der Nähe sein müssen: Ändere ich einen Quant A hier in meinem Wohnzimmer, ändert sich ein damit verschränkter Quant B auch auf dem Mond und zwar gleichzeitig.

Kommen wir zurück in unsere Erlebniswelt. Was bedeuten diese quantenphysikalischen Effekte für uns? Wir wissen nun, dass unsere elementarsten Bausteine, aus denen wir bestehen, ein anderes Verhalten haben, als wir ihren größeren Ansammlungen, den Gegenständen unserer Erlebniswelt, zuschreiben. Umstritten ist dabei, ab wann man von größeren Ansammlungen spricht. Licht-Quanten sind klar in der Quanten-Ecke, Elektronen und auch Atomen kann man quantenphysikalische Eigenschaften nachweisen. Dass sich das Sofa, auf dem ich grade sitze, in eine Welle verwandelt und ich auf den Boden falle, habe ich aber noch nie erlebt.

Wie können wir nun philosophisch die Quantenphysik in unsere bisherige Vorstellung der Physik einbinden und ihre Eigenschaften als normalen Bestandteil unserer Welt ansehen? Ich wage mal einen Vorschlag: Ich möchte von Erlebniswelten sprechen.

  1. Kann ich die Eigenschaft einer Sache mit meinen Sinnen wahrnehmen? Dann ist sie unmittelbar in meiner Erlebniswelt.
  2. Kann ich diese Eigenschaft nicht direkt wahrnehmen, könnte ich sie eventuell unter zu Hilfenahme eines Messinstruments wahrnehmen. Winzig kleine Dinge kann ich mir ja auch durch ein Mikroskop in meine Erlebniswelt holen.
  3. Selbst wenn ich diese Eigenschaft nicht mit zumutbarem Aufwand in meine Erlebniswelt holen kann, kann sie meine Erlebniswelt beeinflussen. Sie hat dann einen für mich nicht erkennbaren Effekt auf meine Erlebniswelt, der aber sehr wohl existiert.
  4. Es mag schlaue Menschen geben, die diese Eigenschaft wahrnehmen können und gezielt nutzen können. Diese Nutzung könnte sich dann wiederum in meiner Erlebniswelt befinden.

Was bedeutet das nun für die besprochenen Phänomene der Quantenphysik:

  1. Der reine Zufall, der dem Verhalten eines Quants innewohnt, hat ein statistisches Mittel, das größeren Ansammlungen dieser Quanten innewohnt. In meiner Erlebniswelt muss ich nicht berechnen, wann ein bestimmtes Atom aus der strahlenden Atom-Ruine von Tschernobyl zerfällt. Ich muss aber in meinen Reiseplanungen oder bei meinen Lebensmitteleinkäufen berücksichtigen, dass die Hälfte der radioaktiven Substanzen noch in 1000 Jahren strahlt.
  2. Der Welle-Teilchen Dualismus ist in meinem Alltag gar nicht so auffällig. In der Regel wird der Stuhl, den ich durch eine Doppeltür schmeiße, relativ grade durchfliegen ohne eine spürbare Beugung durch seine Wellen-Eigenschaft zu erfahren.
  3. Die gegenseitige Beeinflussung verschränkter Quanten mag etwas zu den Eigenschaften meiner Umgebung beitragen – dann erkenne ich das aber nicht. Ich erkenne dann vielleicht die sich daraus ableitenden Eigenschaften.
  4. Wissenschaftler arbeiten an der Nutzung der Verschränkung durch einen Quantencomputer oder in der Kryptografie. Diese Nutzung kann tatsächliche Auswirkungen auf meine Erlebniswelt bekommen.

Was bleibt für mich: Ich sehe im Moment für mich nur die Nutzung der Quantenverschränkung als mittelbaren Einfluss auf meine Erlebniswelt. Damit mag ich wesentliche Teile der Quantentheorie ausblenden, erhebe mit meinem Modell aber auch nicht den Anspruch auf die Weltformel. Stattdessen möchte ich ein Modell vorstellen, mit der Komplexität der Umwelt umzugehen. Es eignet sich zur bewussten Fokussierung – ich entscheide damit, ob ich mich mit Themen auseinandersetze oder nicht. In diesem konkreten Fall werde ich mich mit dem Thema der Quantenverschränkung weiter beschäftigen. Den reinen Zufall oder den Welle – Teilchen Dualismus parke ich mal außerhalb meines Horizonts.