Alle Menschen sind gleich – heißt es.


Fangen wir doch mal mit einer provokanten These an: Natürlich sind nicht alle Menschen gleich. Aufschrei und Entrüstung? Warum nur – der Beweis ist doch einfach: Wir brauchen uns nur umzuschauen. Was ist aber eigentlich gemeint, wenn wir von Gleichheit sprechen? Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder auf einen Ausbildungsplatz? Ja, richtig, das ist es – werden jetzt vielleicht einige sagen. Ich sage, dass das nicht reicht.

Die gesetzlich Gleichheit ist im Grundgesetz Artikel 3 geregelt:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Da haben wir es: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Wir erleben aber sehr wohl, dass Kinder, Jugendliche, Erwachsene und beispielsweise auch Diplomaten unterschiedlich behandelt werden. Wir erleben also eine Ungleichbehandlung, trotz garantierter Gleichheit. Das ist gut so, wir werden später sehen, dass das noch nicht einmal ein Widerspruch ist.

Wie sieht es aus mit (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Gut, dass dort nicht gleich steht. Dass wäre schade und widerspräche meiner Erfahrung. Nebenbei: Neben den üblichen Sterotypen (Einparken, Zuhören – Sie wissen schon) gibt es weitere Unterschiede, die in der Biologie begründet sind. Werner Stangls Arbeitsblatt über Geschlechtsunterschiede stellt dies ausführlich dar. Ausgesagt ist aber gleichberechtigt, was von Recht kommt. Können wir also davon ausgehen, dass unsere Rechtsordnung nicht zwischen Mann und Frau unterscheidet? Ich würde vorsichtig Ja sagen – ich sehe zumindest keine offensichtliche Unterscheidung, dass Männern oder Frauen Unterschiedliches verboten oder erlaubt ist.

Nun wird es spannend: (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes… Wie sieht es damit aus? Gut und schlecht. Gut ist, dass der Gesetzgeber die Pflicht hat, Unterteilungen dieser Art zu unterlassen. Ich denke, dass er dem soweit ganz gut nachkommt, bin aber kein Jurist und kann daher nur eine Wahrnehmung äußern. Schlecht im Sinne der Gleichheit ist, dass unsere Gesellschaft aber sehr wohl nach den in Paragraph drei genannten Gruppen unterscheidet – und das ist gut so.

Ich bin überzeugt davon, dass die Unterscheidung unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft richtig ist, denn jede dieser Gruppen hat ja so seine Eigenarten. Wäre es nicht eher moralisch falsch, sie gleich zu behandeln? Dem Juden Schweinefleisch anbieten und dem Moslem einen Schnaps? Der arbeitslosen Rechtsanwaltsgehilfin Zementsäcke auf die schmalen Schultern legen? Dem rechts-/linksradikalen Polit-Funktionär eine Stelle als Kindergärner geben? Dem nicht deutsch-sprechenden Flüchtling eines Stelle als Kundenberater anbieten?

Hmja, sagt vielleicht der eine oder andere, das ist ja nicht so gemeint, so würde ich das ja nicht sehen aber definitv will ich nicht den radikalen Kindergärtner, weil Klein-Peter ja grade in den Kindergarten kam.

Machen wir uns also nichts vor: Wir haben eine Unterscheidung in Gruppen innerhalb der Gesellschaft, wenn vielleicht auch nicht vor dem Gesetzt. In diesem Spannungsfeld leben wir in der liberalen Demokratie ganz gut, nur ist es eben ein Spannungsfeld: Wie gut muss das Deutsch eines Flüchtlings sein, um in der Dorfsparkasse am Tresen stehen zu dürfen? Welche politische Gesinnung darf der Kindergärtner haben, damit wir ihm unsere Brut in die Verantwortung geben? Welche Arbeit muss die arbeitslose Anwaltsgehilfin übernehmen? Darf ich dem Juden Schweinefleisch anbieten ohne als Antisemit in die Geschichte einzugehen? Oder dem Moslem einen Schnaps ohne eine Fatwa zu riskieren?

Wir sollten also nicht wirklich versuchen, Gleichheit zu erzielen: das ist weder möglich noch erstrebenswert. Nicht erstrebenswert, weil sich erst in den Unterschieden ein Diskurs entsteht und sich eine Entwicklung ergeben kann. Wenn aber nicht Gleichheit gemeint ist, was dann? Ich spreche von der Gleichrangigkeit. Aber auch da müssen wir uns einen Wertekatalog zurechtlegen, vor dem wir Unterschiedliches als gleichrangig ansehen und tolerieren.

Wunderbarer Weise gibt es dieses Wertesystem schon geraume Zeit: Es leitet sich aus dem Grundgesetz ab. Der Artikel Werte und Menschenrechte der Bundeszentrale für politische Bildung erläutert dies und stützt sich dabei auf Die Werteordnung des Grundgesetzes von Professor Dr. Joachim Detjen, Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft III an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Und so löst sich das Dilemma um die Gleichheit auf: Das Grundgesetztes erlaubt Individualität und Varianz innerhalb des Rahmen ihres Wertesystems. Voila: Vergleichen wir also die Individuen, die sich konform zum Wertesystems verhalten, sind alle gleich, egal wie verschieden sie gemäß anderer Kriterien sein könnten.

Schaut Euch auch mal den Artikel Gleichheit als Illusion der FAZ an. Da geht es eher drum, dass die Wirklichkeit der Gleichheit eine andere sein könnte – ein anderes Thema. Ich bin darüber bei meiner Recherche zu diesem Artikel gestoßen.

Was bleibt für mich?

Es ist wichtig, zwischen Gleichheit und Gleichrangigkeit zu unterscheiden. Ich freue mich auf die Unterschiede und die Vielfalt der Menschen. Der Spielraum ist groß und jeder bringt seine spannende Geschichte mit. Und ich versuche diejenigen zu erreichen, denen die Werte des Grundgesetzes nicht wichtig genug sind.  Und ich muss da auch noch sattelfester werden – gutes Bauchgefühl, ausbaufähige Theorie.