Wertvolle Werte


Es gibt ja Klischees, die ich gerne erfülle: Ich sitze grade in einem Kaffee, fange an zu schreiben und fühle mich wie ein Journalist auf der Suche nach der einzig wahren Reportage. Das gefällt mir, passt es doch zum Thema: Was verbinde ich mit diesem Gefühl? Es ist der Wunsch über Dinge zu schreiben, die den Leser irgendwie berührt. Das mag mir bei dem einen oder anderen gelingen, das liegt dann sicher an ähnlichem Geschmack an Themen oder Schreibstil. Aber ich bringe ja nun auch immer meine persönlichen Bewertungen ein, hinter denen ein großes und oft benutztes Wort steht: Meine Werte.

Ich bin mit dem Wert-Gerede dabei in guter Gesellschaft: Kaum ein Politiker kann heute noch darauf verzichten, sich auf Werte zu berufen: Die Westlichen Werte, die Werte des Abendlandes, die Freiheitlichen Werte, gelegentlich auch die Deutschen Werte, die mich am dann nervös machen. Was ist an diesem Wertgerede dran? Was macht es so unheimlich/faszinierend/erfolgreich?

Ich habe dazu das Buch „Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt“ von Andreas Urs Sommer gelesen. Der Titel ist etwas widersprüchlich, passt aber recht gut zur (ernsthaften) Diskussion über Werte. Sommer macht diverse Ausflüge in die Anwendung, Definition und Gründung der Werte, die letztendlich darin münden, dass Werte zwar gemeinhin als Ende der Diskussion genutzt werden, sie aber tatsächlich am Anfang stehen.

Schauen wir uns ein Beispiel an: „Die westlichen Werte sind durch ungebremsten Zuzug der Flüchtlinge gefährdet.“. Ich weiß nicht, ob das so irgendjemand gesagt hat, es entspricht auch nicht meiner Meinung – an dieser Stelle es sei daher nur als Ausgangspunkt einer Analyse gesetzt:

  1. Werte treten offensichtlich nur in der Mehrzahl auf: „die … Werte“. Kann jemand die Werte einzeln benennen? Oder sind Werte wie das Wort „Eltern“ das auch nur in der Mehrzahl auftritt? Ein Elter? Gibt es nicht. Ein westlicher Wert? Schon mal gehört? Gibt es eine Liste der westlichen Werte? Wer erstellt sie? Gilt sie morgen auch noch?
  2. Rein vom Wort her können Werte nicht „westlich“ sein. Das mag jetzt vielleicht spitzfindig sein, aber es gibt auch keine langen Entfernung, nur große. Gehen wir mal darüber hinweg, der geneigte Leser wird sicher meine Assoziation teilen, dass Werte gemeint sind, die in der westlichen Welt vermeintlich etabliert sind. Ich bin aber nicht sicher, ob die so klar sind, auch wenn sich das Grundgesetz ebenfalls darauf beruft. Ein Beispiel für einen Wert ist für mich, dass in Deutschland die Anwendung von Gewalt ein Staatsmonopol ist. Den Wert von Waffen zur individuellen Verteidigung von WasAuchImmer teile ich nicht mit der durch „westlich“ einbezogenen Amerikaner.
  3. Wir haben nun eigentlich keine stabile Basis, über die wir bei Nennung „der westlichen Werte“ sprechen. Trotzdem können wir sie als „gefährdet“ bezeichnen und bei vielen Zuhörern Zustimmung erfahren.
  4. Was nun aber trotz aller Schwammigkeit des Wertgeredes gut wäre, ist darüber zu sprechen, was denn gefährdet sein soll. Ich will nicht sagen, dass alles durch irgendwelche Gesetze blitzsauber geregelt ist, aber mein Bauchgefühl sagt, dass unser Grundgesetz schon vieles zumindest recht gut regelt: die Garantie der körperlichen Unversehrtheit zum Beispiel erlaubt es nicht, dass irgendwer irgendwen gegen deren/dessen Willen berührt. Wie das durchsetzbar ist, ist eine zweite Sache – geregelt ist das. Schwieriger ist das Tragen einer Burka: garantierte Religionsfreiheit steht dem Interesse des Staates entgegen, das Gesicht als Erkennungsmerkmal zu nutzen (Vermummungsverbot).

Mit dem Punkt 4. Treten wir nun in eine Diskussion ein: Der eine sagt dies, der andere jenes. Das ist der richtige Umgang und der eigentliche Sinn der Werte: Fühlen wir ihnen etwas auf den Zahn, können wir unsere Vorstellungen erklären und angleichen. Sie haben nämlich je nachdem, wer einen Wert für sich beansprucht, vielleicht noch gleiche Namen aber unterschiedlichen Inhalt. Verweigern sich Teile der Gesellschaft der Diskussion oder der Annäherung sind elementare Verfahren der Demokratie verletzt.

Was bleibt für mich?

Argumente, die moralisch werten (wir als die Guten versus irgendjemand anderes), versuche ich als solche zu erkennen. Es gibt dieses wir nicht, Werte als Ende und Basta-Argumentation anzuführen, ist undemokratisch, nicht lösungsorientiert sondern rhetorische Gewalt. Ich habe nur ein diffuses Gefühl über meine Werte. Ich bin nicht sicher, ob ich sie belastbar definieren könnte. Das ist gut so, denn Werte sind variabel in Zeit und Raum, abhängig vom Betrachtungswinkel und nach Kontext unterschiedlich relevant. Das werde ich mir unbedingt bewahren.

Schreiben in einem Kaffee hat mir übrigens gut gefallen. Das sollte ich öfter mal tun.


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